07.07.2016

Workshop: Die Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts

Von: Werena Rosenke (BAG Wohnungslosenhilfe)
Workshop "Die Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts" Foto: Stephanie von Becker

Workshop "Die Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts" Foto: Stephanie von Becker

Und ohne Wohnung ist alles nichts

 

„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung […..]“

 

So lautet Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Aber: Von der Verwirklichung des Menschenrechts auf Wohnen sind wir auch in Deutschland noch weit entfernt.

Wohnungslosigkeit ist die extremste Form sozialer Ausgrenzung. Wohnungslose Menschen sind nicht nur aus dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt, sondern auch aus anderen existenziellen Lebensbereichen wie: Erwerbsarbeit, Bildung, medizinischer Versorgung. Oftmals können sie selbst ihre Rechte auf Transferleistungen nicht realisieren, leben sozial sehr isoliert und erfahren Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt im öffentlichen Raum.

Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit brauchen:

Wohnungen

Arbeit und Einkommen

Bildung und Qualifikation

eine geregelte medizinische Versorgung

Schutz vor Stigmatisierung und Gewalt

Sie wissen, dass es in Deutschland keine gesetzliche Wohnungsnotfallberichterstattung gibt, weder auf Bundesebene, noch – mit der bislang einzigen Ausnahme NRW – auf Ebene der Länder. Die BAG W kritisiert diesen unhaltbaren Zustand seit nunmehr 20 Jahren.

Deswegen haben wir als BAG W ein elaboriertes Schätzmodell entwickelt, mit dem wir die Zahl wohnungsloser Menschen in Deutschland regelmäßig schätzen. Unsere aktuellste Schätzung bezieht sich auf das Jahr 2014 und geht von 335.000 wohnungslosen Menschen aus, davon leben ca. 40.000 ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Wir schätzen die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 9 % (29.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 72 % (220.000); der Frauenanteil liegt bei 28 % (86.000). Der Anteil wohnungsloser Menschen mit Migrationshintergrund bei 31 %.

Dazu kamen in 2014 nach unserer Schätzung noch ca. 172.000 Haushalte, die vom Verlust ihrer Wohnung unmittelbar bedroht waren. In  ca. 50 % der Fälle konnte die Wohnung durch präventive Maßnahmen erhalten werden. Doch insgesamt gab es 86.000 neue Wohnungsverluste in 2014:  davon ca. 33.000 (38 %) durch Zwangsräumungen und ca. 53.000 (62 %) sog. „kalte“ Wohnungsverluste. Beim „kalten“ Wohnungsverlust kommt es nicht zur Zwangsräumung, sondern die Mieter und Mieterinnen, vor allem Alleinstehende, „verlassen“ die Wohnung ohne Räumungsverfahren oder vor dem Zwangsräumungstermin. Ein ausschließlicher Blick auf die Zwangsräumungszahlen verkennt das Ausmaß neu entstehender Wohnungslosigkeit.

Wenn sich die Wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen nicht nachhaltig ändern, wird es unserer Einschätzung nach zu einem weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen auf über eine halbe Million bis zum Jahr 2018 kommen.

Es fehlen nicht erst seit gestern bezahlbare Wohnungen für wohnungslose und für andere einkommensarme Haushalte, für Alleinerziehende, für Studierende und viele andere. Auch die Flüchtlinge und EU-Zuwanderer, die Schutz, Arbeit und Auskommen in Deutschland suchen, sind auf bezahlbare Wohnungen angewiesen.

Seit 2002 gibt es eine Million Sozialwohnungen weniger.

Es fehlen mindestens 2,7 Millionen Kleinwohnungen. Dieser Wohnungsmangel, ins. bei den kleinen Ein- bis Dreizimmerwohnungen,  hat zu einem extremen Anziehen der Mietpreise, ins. in den Ballungsgebieten geführt. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (16,4 Millionen Menschen) steht nur ein Angebot von 13,6 Millionen Ein- bis Dreizimmerwohnungen gegenüber. Daraus ergibt sich das Wohnungsdefizit. Da die Dreizimmerwohnungen inkludiert sind, haben wir konservativ gerechnet.

In einem neuen empirica-Gutachten, erstellt im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschuss e.V., wird von einem zusätzlichen jährlichen Neubaubedarf von mindestens 75.000 Wohnungen ausgegangen (im konservativsten Szenario), die für die Versorgung der anerkannten Flüchtlinge benötigt werden.

Empirica rechnet, dass sich in zehn Städten der Neubaubedarf verdoppeln würde (Frankfurt, Offenbach, Heidelberg, Stuttgart, München, Darmstadt, Heilbronn, Augsburg, Rosenheim und Düsseldorf) und in Hamburg, Köln und Berlin um mindestens 50 % erhöht.

Mit Blick auf die Wohnungsmarktdefizite der letzten Jahre kann man also nicht behaupten, die Krise auf den Wohnungsmärkten sei eingewandert, sondern sie ist hausgemacht und Ergebnis politischer Fehlentscheidungen und Fahrlässigkeiten.

Folgende Hauptpunkte möchte ich benennen:

·         Anstelle einer sozialen Wohnungspolitik wird die Wohnung ausschließlich als Ware begriffen und dem freien Spiel des Marktes überantwortet, d.h.:

o   Die Sozialbindungen sind ausgelaufen, aber es ist nicht mit dem Neubau von Sozialwohnungen oder dem Erwerb von Sozialbindungen gegengesteuert worden.

o   Kommunen, Länder und der Bund haben ihre eigenen Wohnungsbestände an meistbietende private Investoren verkauft und sich so selbst geeigneter Reserven preiswerten Wohnraums beraubt.

o   Große Wohnungsbestände in attraktiven Lagen stehen durch Verdrängungsprozesse (Gentrifizierung), denen ebenfalls nicht gegengesteuert worden ist, Mieterhaushalten mit geringem Einkommen nicht mehr zur Verfügung. Inzwischen betrifft die Gentrifizierung in manchen Städten oder Quartieren weite Teile der Bevölkerung. Für eine Umsteuerung ist es dann oftmals leider zu spät.

·         Noch immer gibt es zu viele Kommunen und Landkreise für die Prävention ein Fremdwort ist; es gibt zu wenig systematische Prävention, bspw. durch Präventionsfachstellen, mit denen Wohnungsverluste verhindert werden könnten.

·         Zugleich hat sich die Armut verfestigt, u. a. durch den Niedriglohnsektor und atypische Beschäftigung. Armut trotz Arbeit ist für viele Menschen Realität.

·         Der ALG-II-Regelsatz reicht nicht aus für ein menschenwürdiges Leben in der Gesellschaft. Die Hartz-IV-KdU-Richtlinien sind in vielen Kommunen zu knapp bemessen. Die Menschen geraten in eine Verschuldungsspirale, an deren Ende der Wohnungsverlust droht, wenn auch die Miete nicht mehr bezahlt werden kann. Wer erst einmal Miet-, Energie- oder andere Schulden hat, die er nicht bedienen kann, ist nahezu chancenlos auf dem heutigen Wohnungsmarkt.

Fazit: Einer immer größeren Zahl Wohnungssuchender mit geringem Einkommen steht somit ein ständig schrumpfendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung.

Die zunehmende Konkurrenz auf den Wohnungsmärkten ist offensichtlich und war vorhersehbar. Schon seit 2009 nimmt die Zahl der wohnungslosen und der von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen zu. Die Zuwanderung hat die Krise auf den Wohnungsmärkten nicht ausgelöst, sondern wirkt dabei wie ein Katalysator und führt Politik, Öffentlichkeit, uns allen das Ausmaß der Wohnungskrise, aber auch die Handlungsnotwendigkeit drastisch vor Augen.

In dieser Konkurrenz können sich diejenigen am schlechtesten behaupten, bei denen zu wirtschaftlich – finanzieller Not und Überforderung noch weitere Beeinträchtigungen und Erschwernisse hinzukommen und die nicht auf familiäre und andere Hilfen oder Netzwerke als Ressourcen zurückgreifen können.

Dimensionen sozialer Exklusion von Wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen

Ich hatte eingangs die Dimensionen der Ausgrenzung angesprochen; die zentrale Dimension ist aber m. M. nach die Ausgrenzung aus dem Wohnungsmarkt.

Warum?

Die verschiedenen Dimensionen der Ausgrenzung befördern und begründen auf je unterschiedliche Weise Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit. Zugleich ist das Leben ohne eigene Wohnung wiederum Grund dafür, dass die Ausgrenzung in den anderen Dimensionen nicht überwunden werden kann.

Der bekannte Titel „Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung“ bringt es auf den Punkt. Ohne Schulabschluss keine Ausbildung, ohne Ausbildung kein Job; ohne Job keine Wohnung. Ohne Wohnung, kein Ort zum Lernen, kein Ort, die Ausbildung nachzuholen. Und so fort.

Warum das so ist, möchte ich kurz ausführen, in dem ich versuche darzustellen, wie Menschen in Wohnungslosigkeit oder in bedrohten Wohnverhältnissen leben.

Daran wird m. M. auch deutlich, wieso die die Beschaffung und Erhaltung der Ressource „Wohnung“ auch die zentrale Herausforderung darstellt.

Wie leben wohnungslose Menschen?

Die eigene Wohnung ist mehr als ein Dach über dem Kopf: Eine Wohnung erst ermöglicht Privatheit, Schutz, Geborgenheit. Sie ist Lebens- und Lernort. In der eigenen Wohnung kann man eben so sein wie man es will. Diese Möglichkeit der Selbstbestimmung fehlt auf der Straße, in der kommunalen Obdachlosenunterkunft, in der Billigpension, wenn man vorübergehend bei Bekannten unterkommt, die einen jederzeit wieder auf die Straße setzen können, wenn ihnen das „so Sein“ nicht mehr gefällt.

Ohne Unterkunft auf der Straße

Wenn von wohnungslosen Menschen die Rede ist, wird häufig Bezug genommen auf den wohnungslosen Mann, der im Park, unter der Brücke oder an ähnlichen Orten im Freien „Platte macht“. Diese sichtbar wohnungslosen Menschen bilden die Spitze des Eisbergs „Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot“.

Die BAG W schätzt, dass ca. 15 – 20 % der Wohnungslosen ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben oder versuchen, sich in Behelfsunterkünften (wie Baracken, Wohnwagen, Gartenlauben etc.) „einzurichten“. Vor allem wohnungslose Männer sind es, die „Platte machen“, der Frauenanteil liegt vermutlich bei 5 – 10 %.

In den Altersgruppen ab 40 Jahren lebt fast ein Viertel der Betroffenen ganz ohne Unterkunft auf der Straße und / oder  in ungesicherten Ersatzunterkünften wie Gartenlauben, Wohnwagen etc..[1]

Diese Menschen sind durch die häufig bereits lange währende Wohnungslosigkeit besonders gefährdet: Ihr Gesundheitszustand (s. u.) ist besonders schlecht, sie sind vom Kältetod und von Gewalt bedroht. Nach Kenntnis der BAG Wohnungslosenhilfe sind seit 1991 mindestens 290 Wohnungslose erfroren: im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hauseingängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Gartenlauben und sonstigen Unterständen.[2]

Zwischen 1989 und 2013 sind mindestens 460 Wohnungslose getötet worden, noch viel mehr erlitten schwere und schwerste Verletzungen.

Ordnungsrechtliche Unterbringung

Ein großer Teil der wohnungslosen Menschen ist kommunal und ordnungsrechtlich in Notunterkünften und Obdachlosenunterkünften untergebracht

Da die Obdachlosigkeit die grundgesetzlich geschützten Individualrechte wie das Recht auf Leben, auf Gesundheit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Menschenwürde verletzt, hat jede Gemeinde den unabweislichen Auftrag, diese Grundrechte zu schützen und entsprechende Gefahren abwehrende Maßnahmen zu ergreifen. Dies sehen die Polizei-, Sicherheits- und Ordnungsgesetze aller Bundesländer vor.

Wohnungslose Menschen haben also ein Recht darauf, von der Kommune, in der sie sich aktuell und tatsächlich aufhalten, mit einer Notunterkunft nach Ordnungsrecht versorgt zu werden. Dabei ist es unerheblich, wie lange sich die Betroffenen bereits in der Kommune aufhalten. Regelungen, die eine Mindestaufenthaltsdauer in einer Kommune vorsehen, sind nicht rechtens.[3] Da es hier um den Schutz grundlegender Menschenrechte geht, besteht der Anspruch auf ordnungsrechtliche Unterbringung unabhängig von der Nationalität und dem Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Dieser Verpflichtung kommen viele Kommunen allerdings sowohl quantitativ als auch qualitativ nur unzureichend nach.

In Deutschland gibt es keine einheitliche oder verbindliche Feststellung, welchen Standards eine ordnungsrechtliche Unterbringung folgt. Es ist obergerichtlich lediglich festgestellt worden, dass die Menschenwürde zu gewährleisten ist. – Aber wo kein Kläger, da kein Richter! Dazu habe ich drei Bilder aus einem Bericht des mdr-Magazins Exakt mitgebracht. Der Film ist noch in der Mediathek des Senders. Schauen Sie sich den Film an.

Weil wohnungslose Menschen keine Chancen mehr auf dem Wohnungsmarkt haben, sitzen sie oft jahrelang in häufig menschenunwürdigen Notunterkünften fest; aber auch weil sie häufig keinen Zugang zu Hilfen nach den § 67 ff SGB XII oder anderen persönlichen Hilfen haben.

Eine Normalität findet in den Obdachlosenunterkünften niemand, geschweige denn bieten sie den Rahmen, Traumatisierungen durch Gewalt oder die Traumatisierung durch den Verlust der Wohnung zu überwinden. Die Unterkünfte sind auch nicht der Lebensraum in dem wohnungslose Menschen die Ressourcen mobilisieren können, um wieder eine eigene Wohnung zu erlangen; um Kraft zu tanken für Ausbildung und Jobsuche, um Lernort zu sein. Im Gegenteil: Aus den wenigen vorliegenden Untersuchungen  geht hervor, dass viele Einzelpersonen und Haushalte viele Jahre in den Unterkünften verbleiben und sich ihre Wohnungslosigkeit und soziale Ausgrenzung dort verfestigt. Mit der stigmatisierten Adresse einer Obdachlosenunterkunft ist die Suche nach einer neuen eigenen Wohnung, die Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle zum Scheitern verurteilt. Die Stigmatisierung und Ausgrenzung der dort lebenden Kinder in der Schule ist vorprogrammiert.

Interessanterweise kann die Zuwanderung auch im Unterkunftssektor wie ein Katalysator wirken: Die quantitativen und qualitativen Missstände gibt es schon lange, aber erst jetzt – wo Kommunalpolitik und Presse genauer hinschauen müssen, weil die anerkannten Flüchtlinge keine Wohnungen finden und die ersten deswegen in Obdachlosenunterkünften untergebracht werden, ist man vielerorts erstaunt wie miserabel und menschenunwürdig diese Unterbringungen sind. Ich zitiere aus der Mittelbayrischen Zeitung vom 6.4.2016:

Die „Stadträtin sagte [….] im Bauausschuss, dass sie fast gespien hätte, als sie die Situation in der Obdachlosenunterkunft, in der anerkannte Flüchtlinge durch die Stadt [….] untergebracht wurden, gesehen habe. – Ich habe mich für unsere Stadt geschämt!“

Also auch hier liegen die Herausforderungen auf dem Tisch:

Erstens, alles dafür tun, Wohnungen zu erhalten.

Zweitens, Kommunen müssen ihrer Verpflichtung zur menschenwürdigen Unterbringung nachkommen. Die Zivilgesellschaft sollte genau hinschauen, was in diesen Unterkünften geschieht, denn zu befürchten sind mittelfristig weiter sinkende Standards durch die sog. Nachverdichtung bei der Belegung. Soll heißen: Weil immer mehr anerkannte Asylsuchende ebenfalls in diesen Notunterkünften landen werden, wenn sie keine bezahlbare Wohnung finden, besteht die Gefahr, dass menschenwürdige Unterbringungsstandards immer weniger beachtet werden.

Eine Notunterkunft ist keine Wohnung!

Eine Notunterkunft ist kein Zuhause!

Eine Notunterkunft verfestigt Wohnungslosigkeit und soziale Ausgrenzung!

Prekäre Mitwohnverhältnisse / verdeckte Wohnungslosigkeit

Neben den Menschen, die ordnungsrechtlich untergebracht sind oder die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, suchen viele Betroffene vorübergehend ein Unterkommen bei Freunden, Bekannten und Verwandten. Sie versuchen die Wohnungsnotfallsituation ohne Inanspruchnahme von institutionellen Hilfen zu bewältigen oder finden keinen Zugang zum Hilfesystem – auch weil es dies insb. im ländlichen Raum gar nicht gibt. Diese oft sehr prekären Mitwohnverhältnisse betreffen viele der sehr jungen wohnungslosen Menschen:

Unter den jungen wohnungslosen Frauen und Männern unter 25 Jahren kommen über 44 % (2014), das ist die größte Gruppe, bei Bekannten unter.

Prekäre Mitwohnverhältnisse sind auch eine Erscheinungsweise weiblicher Wohnungslosigkeit. Frauen versuchen mit vielen Mitteln nicht als wohnungslose Frauen identifiziert und etikettiert zu werden.[4] Ein Teil der wohnungslosen Frauen versucht sich oft lange ohne institutionelle Hilfe durchzuschlagen. Eine ordnungsrechtliche Unterbringung oder eine Unterbringung in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe soll vermieden werden. Frauen schämen sich ihrer Notlage und versuchen, möglichst lange ohne institutionelle Hilfe über Wasser zu bleiben; sie gehen sogenannte Zwangsgemeinschaften ein, akzeptieren also Beziehungen, um ein Dach über dem Kopf zu haben, suchen Unterschlupf bei Freunden und Freundinnen, was mit der Zeit zu Konflikten führen kann oder wo die betroffenen Frauen ausgenutzt werden. Sie kehren mehrmals in die Partnerschaft / Herkunftsfamilie zurück, die sie aufgrund eskalierender Konflikte verlassen haben oder aus der sie aufgrund massiver Gewalterfahrungen geflohen sind. Dieses Verhalten zeigt einerseits ein großes Potenzial an Selbsthilfekräften, andererseits bleibt so in vielen Fällen der Hilfebedarf dieser Frauen unerkannt.

Deswegen gilt es einer weiteren Herausforderung zu begegnen: Hilfen für Frauen in Wohnungsnot müssen flächendeckend zur Verfügung stehen. Insb. ist es notwendig niedrigschwellige Beratungsangebote anzubieten. Frauen, die verdeckt wohnungslos leben, also Mitwohnverhältnisse bspw. eingegangen sind, benötigen solch ein niedrigschwelliges Beratungsangebot, ebenso wie junge Frauen und Mädchen, die u. U. noch in ihren Herkunftsfamilien leben, aber die häusliche Situation dort nicht mehr tragbar ist.

Bildung, Ausbildung, Teilhabe am Arbeitsleben und Einkommen

Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit sind radikal aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt: Über 91 % der aktuell wohnungslosen Menschen im Hilfesystem sind arbeitslos, ebenso 81 % der von Wohnungslosigkeit bedrohten, 83 % der in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebenden und der ehemals von Wohnungslosigkeit betroffenen oder bedrohten Menschen. Ca. 64 % der Betroffenen sind Langzeitarbeitslose.[5]

Sie sind Exkludierte des Arbeitsmarktes, „die keinen Zugang zu einem geeigneten Arbeitsplatz finden und ihre soziale, berufliche und persönliche Inklusion in den Arbeitsmarkt ohne besondere Förderung nicht bewältigen können.“[6] (Arbeitsmarktpolitisches Programm der BAG W)

Die große Mehrheit – seit Jahren immer über 70 %[7]  - der Klienten und Klientinnen der Wohnungslosenhilfe hat eine niedrige formale Bildungsqualifikation[8]. Betrachtet man die Bildungsqualifikationen nach Altersgruppen, muss festgestellt werden: Je jünger die Betroffenen sind, desto höher ist die Rate derjenigen, die über keinen Schulabschluss verfügen: 26 % der 18- bis 20-Jährigen und knapp 23 % der 21- bis 24-Jährigen gegenüber 12 % der 50- bis 59-Jährigen und 10 % der über 60-Jährigen in der Wohnungslosenhilfe sind ohne Schulabschluss.[9]

Die Zahl der jüngeren Wohnungslosen ohne Berufsausbildung hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen: 2007 hatten knapp 60 % der 25- bis 29-Jährigen keine Berufsausbildung, in 2014 sind es knapp 70 %.[10]

Alarmierend ist: Es gibt keinen Trend zum Besseren! Der Ausschluss aus Bildung, Arbeit und Einkommen scheint zementiert und die Zahl der jungen Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit, die aus Bildung und Berufsausbildung exkludiert sind, ist sogar steigend.[11]

Wohnungslose Menschen sind nicht nur vom Arbeitsmarkt exkludiert, sondern auch in weiten Teilen von der Verwirklichung ihrer sozialen Rechte auf Transferleistungen ausgeschlossen. Mehr als 28 % (2014) der Männer und Frauen sind ohne Einkommen, wenn sie eine Einrichtung des Hilfesystems aufsuchen. Dieser Ausschluss von jeglichem Einkommen hat sich in den letzten Jahren sogar noch verschärft: In 2007 waren 21 % ohne Einkommen.

Obwohl sie zu 85 % erwerbsfähig nach SGB II sind, beziehen lediglich 42 % ALG II (6 % beziehen Sozialhilfe nach SGB XII). Diese Raten lassen sich mit Unterstützung der Klienten und Klientinnen durch die Hilfen im Wohnungsnotfall zwar deutlich steigern, aber letztlich bleiben immer noch 12 % der Betroffenen ohne jedes Einkommen. 

Resümee: Die Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts!

Dieser Slogan der Wohnungslosenhilfe bringt auf den Punkt, warum die Exklusion aus dem Wohnungsmarkt extrem folgenreich und auf vielfältige Weise mit den anderen Dimensionen sozialer Exklusion verflochten ist.

Diese Dimensionen der Exklusion befördern und / oder begründen auf je unterschiedliche Weise und in individuell unterschiedlichem Ausmaß Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit. So ist es notwendig, dass die Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation auch Hilfen zur Überwindung der sozialen Ausgrenzung in den anderen Lebensbereichen erhalten, um die Ursachen von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit zu überwinden. Zugleich ist dies ohne eigene Wohnung kaum möglich: Denn das Leben in Wohnungslosigkeit und / oder in einem vom Verlust bedrohten Wohnverhältnis ist oft zugleich Ursache der anderen Dimensionen der Ausgrenzung.

Wenn das Recht auf eine Wohnung im Mittelpunkt steht, ergeben sich daraus folgende Handlungsfelder:

•          Prävention, um Wohnungsverluste zu verhindern

·         Nicht nur, aber insb. in Zeiten fehlenden bezahlbaren Wohnraums sind Präventionsanstrengungen unverzichtbar: Wer in dieser Situation die Wohnung verliert, wird für lange Zeit ohne eigene Wohnung bleiben und die verlorene Wohnung wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch als bezahlbarer Wohnraum abzuschreiben sein.

•          Unterstützung im Wohnraum, um eine Wohnung nachhaltig zu sichern

  • Die Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation müssen unterstützende und fördernde soziale Hilfen erhalten, um die vielfältig erfahrene soziale Exklusion zu überwinden.

•          Ein menschenwürdiges Notversorgungssystem, wenn trotz aller Bemühungen ein Wohnungsverlust nicht verhindert werden kann

  • Und es muss es persönliche Hilfen – auch in der ordnungsrechtlichen Unterbringung - zur Wiedererlangung einer Wohnung geben

•          Die Ressource Wohnraum: Wohnraum schaffen und für Wohnungsnotfälle erschließen

Auf dieses Handlungsfeld möchte ich mich abschließend konzentrieren.

Ich habe auf meiner letzten Folie einige Punkte zusammengestellt, die von den unterschiedlichen Akteuren im Handlungsfeld Wohnraum schaffen angefasst werden sollten.

·         Bezahlbarer Wohnraum muss geschaffen werden: Die Bundes- und Landesmittel für den Sozialen Wohnungsbau müssen über Jahre drastisch erhöht werden, um den Fehlbestand an preisgünstigen Wohnungen ausgleichen zu können. Die BAG W hält den Bau von 400.000 Wohnungen im Jahr, davon mindestens 150.000 preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen für nötig.

·         Der Bund muss wieder mehr politische Verantwortung für die Wohnungspolitik übernehmen! Bspw. durch gezielte Förderprogramme zur Einrichtung von kommunalen Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten oder zur Auflösung kommunaler Obdächer mit dem Ziel der Vermittlung der Bewohner und Bewohnerinnen in Wohnungen.

·         Um dem durch verstärkte Zuwanderung zunehmenden Unterbringungsbedarf gerecht zu werden, bedarf es einer Unterstützung der Kommunen durch den Bund; bspw. durch Übernahme eines höheren Anteils an den Kosten der Unterkunft kann der Bund die Kommunen für deren große Aufgaben bei der Notversorgung stärker finanziell entlasten.

·         Die Länder müssen ebenfalls eine aktive soziale Wohnungsbaupolitik betreiben, z. B. die Förderprogramme so gestalten, dass sie auch genutzt werden.

·         Der Bau von preiswertem Wohnraum ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend. Wir fordern deshalb die Kommunen auf, Belegungsquoten für wohnungslose Haushalte einzuführen und andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass wohnungslose Haushalte mit eigenen Wohnungen versorgt werden.

Weitere Punkte möchte ich an dieser Stelle nur als Stichworte nennen; ich denke, wir werden einiges in der nachfolgenden Diskussion besprechen.



[1] BAG W Statistikbericht 2014, unveröffentlicht

[2] BAG W Pressemitteilung vom 03.03.2015. Seit Anfang der 1990er Jahre untersucht die BAG W die Presseberichterstattung  systematisch auf Berichte über erfrorene Wohnungslose, URL: http://www.bagw.de/de/presse/Pressearchiv.html?year=2015, (Stand: 17.12.2015)

[3] Vgl.: Ruder, Karl-Heinz: Grundsätze der polizei- und ordnungsrechtlichen Unterbringung von (unfreiwillig) obdachlosen Menschen unter besonderer Berücksichtigung obdachloser Unionsbürger. Rechtsgutachten aus Anlass der Bundestagung der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. in Berlin vom 9. – 11. November 2015 „Solidarität statt Konkurrenz – entschlossen handeln gegen Wohnungslosigkeit und Armut“, Berlin 2015, URL: http://www.bag-wohnungslosenhilfe.de/de/themen/notversorgung/gutacht.html, (Stand: 17.12.2015)

[4] Vgl. dazu ausführlicher: BAG Wohnungslosenhilfe: Frauen in Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot. Darstellung der Lebenslagen und der Anforderungen an eine bedarfsgerechte Hilfe. Positionspapier der BAG Wohnungslosenhilfe, Bielefeld 2003, aktualisiert 2012, URL: http://www.bagw.de/de/publikationen/pos-pap/postion_frauen.html, (Stand: 17.12.2015)

[5] BAG W: Statistikbericht 2014 (unveröffentlicht)

[6] BAG Wohnungslosenhilfe: Sozialer Arbeitsmarkt und Sozialunternehmen: Voraussetzungen und Anforderungen eines innovativen Förderinstruments für die vom Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, Positionspapier der BAG Wohnungslosenhilfe e.V., Bielefeld 2013, S. 3, URL: http://www.bagw.de/de/publikationen/pos-pap/position_arbeit.html, (Stand: 17.12.2015)

[7] BAG W: Statistikberichte

[8] Kein Schulabschluss, Sonderschulabschluss, Volks-/Hauptschulabschluss

[9] BAG W: Statistikbericht 2014 (unveröffentlicht): In den Altersgruppen 25 bis 29 Jahre und 30 bis 39 Jahre liegt der entsprechende Anteil bei knapp unter 20 %, erst bei Klienten und Klientinnen ab dem 40igsten Lebensjahr sinkt der Anteil derjenigen ohne Schulabschluss auf deutlich unter 20 %.

[10] BAG W: Statistikberichte 2007 und 2014 (unveröffentlicht)

[11] BAG W: Statistikberichte 2007 bis 2014

 

Download Input Werena Rosenke

Download Präsentation Workshop


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben