07.07.2016

Workshop: Prekäre Arbeit und Arbeitslosigkeit machen arm - Dimensionen, Ursachen, Gegenstrategien

Von: Werner Hesse
Workshop "Prekäre Arbeit und Arbeitslosigkeit machen arm" Foto: Stephanie von Becker

Workshop "Prekäre Arbeit und Arbeitslosigkeit machen arm" Foto: Stephanie von Becker

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich möchte mit einem Zitat beginnen.

„Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden.“

So äußerte sich Peter Hartz im Jahre 2007 in seinem Buch „ Macht und Ohnmacht“ über die sogenannte Hartz-Gesetzgebung. In einem späteren Interview teilte er mit, dass er von einem Regelsatz in Höhe von 511 Euro ausgegangen sei. Gerhard Schröder versprach im Wahlkampf 2002, die Hartz-Vorschläge 1:1 umzusetzen. Die Leistungen lägen um mindestens 10 % über der bisherigen Sozialhilfe.

Realität wurde 2005 ein Regelsatz von 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten.

Die neuen Regelsätze lagen um 16 % über den Sozialhilferegelsätzen wegen der Einbeziehung einmaliger Leistungen in die Regelsatzpauschale. Es handelte sich dabei um einen Durchschnittswert, der höhere Bedarfe junger Familien nicht berücksichtigte wie zum Beispiel Kosten für Klassenfahrten, Schulbedarfsartikel oder den höheren Bedarf an Kleidung für Kinder und Jugendliche wegen Verschleiß und Wachstum.

Anzumerken ist auch, dass das Modellprogramm zur Pauschalierung einmaliger Leistungen nach § 101 a BSHG niemals ausgewertet wurde.

Faktisch mussten insbesondere Familien eine Leistungskürzung hinnehmen.

Diese wurden anfangs durch einen Zuschlag zum Arbeitslosengeld ausgeglichen. Im ersten Jahr nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I gab es einen Zuschlag von 160 Euro und im zweiten Jahr einen Zuschlag von 80 Euro. Addiert man die 345 Euro aus dem neuen Regelsatz West mit dem Zuschlag von 160 Euro, kommt man auf 505 Euro und damit annähernd auf die Vorstellung von Peter Hartz. Dieser Regelsatzzuschlag wurde allerdings später aufgehoben. Damit wurde den Empfängern des Arbeitslosengeldes II und insbesondere jungen Familien jeglicher Spielraum genommen, über existenzielle Erfordernisse hinaus Aufwendungen zu finanzieren, die der Teilnahme am sozialen Leben in der Gemeinschaft dienten.

Ein weiterer Vorschlag der Hartz-Kommission bestand darin, dass Bezieher des Arbeitslosengeldes II in die Sozialversicherung einzubeziehen seien. Anfangs gab es - zwar geringe - Einzahlungen in die Rentenversicherung. Diese wurden später aufgehoben. Obgleich die Rentenversicherungszahlungen nicht wirklich eine Absicherung gegen Armut im Alter verhindern konnten, so symbolisierten sie immerhin eine Teilhabe der langzeitarbeitslosen Menschen am sozialen Sicherungssystem in Gestalt der Rentenversicherung. Auch hier fand eine Ausgrenzung statt.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2010 die Bemessung des Regelsatzes in verschiedener Hinsicht für verfassungswidrig erklärt. Insbesondere ging es darum, dass die Herleitung der Regelsätze nicht transparent erfolgt ist. In der Folge wurde das Teilhabepaket nach § 28 SGB II geschaffen. Gleichzeitig wurde dafür gesorgt, dass der Regelsatz auf ein Minimum zusammengerechnet werden konnte. Die Referenzgruppe aus der Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe wurde von 20 % der unteren Einkommensgruppen auf 15 % reduziert, was schon für sich genommen rechnerisch zu einer Absenkung des Regelsatzes führen musste. Hinzu kam die Herausnahme von Ausgaben für Alkohol und Tabak. Diese Ausgaben sind in der Statistik so gering, dass ihre Herausnahme nicht wirklich suchtpräventiv wirken kann. Warum soll es einem Leistungsberechtigten nicht erlaubt sein, am Gartenzaun mit dem Nachbarn eine Flasche Bier zu trinken? Hier geht es in Wirklichkeit und im Ergebnis um eine Einschränkung der Möglichkeiten sozialer Begegnungen. Herausgenommen wurden auch die Aufwendungen für beispielsweise chemische Reinigung von Kleidung, Gartenbearbeitung oder Schnittblumen. Was soll der Bezieher von Arbeitslosengeld II zum Geburtstag eines Nachbarn mitbringen, wenn er nicht mal einen Strauß Blumen finanzieren darf?

Eingeschränkt wurden auch die Ausgaben für Mobilität und Kommunikation. Die Nutzung von PC oder Internet galt als nicht regelsatzrelevant. Wir alle wissen aber, dass soziale Kommunikation inzwischen auch in erheblichem Umfang über das Internet stattfindet.

Die Anschaffung von Möbeln oder sogenannter weißer Ware wie Waschmaschinen oder Kühlschränke ist aus dem Regelsatz nicht möglich. Sie werden entweder aus dem Schonvermögen bezahlt oder müssen als Darlehen des Jobcenters finanziert werden. Die Einbehalte für die Abstotterung des Darlehens führen zu einer gravierenden Regelsatzkürzung, die wiederum die Ausgabenspielräume für Bezieher von Arbeitslosengeld massiv einschränken und zu Lasten insbesondere der sozialen Teilhabe gehen.

Die Hartz-Kommission kam des Weiteren zu folgendem Ergebnis:

„Öffentlich geförderte Beschäftigung wird mittelfristig wegen der fehlenden Aufnahmefähigkeit des ersten Arbeitsmarktes in strukturschwachen Regionen - vor allem in den neuen Bundesländern - unverzichtbar bleiben. Sie muss jedoch mit kommunalen Infrastrukturmaßnahmen verzahnt und über Steuern finanziert werden.“

Die entgegenstehende Realität ist bekannt. Die Gelder für die Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung wurden in den letzten zehn Jahren massiv zusammengekürzt. Die Bundesagentur für Arbeit hat erhebliche Beiträge zur Entlastung des Bundeshaushaltes erbracht, die zu Lasten langzeitarbeitsloser Menschen gingen. Auch wenn man über die Sinnhaftigkeit einzelner Angebote der öffentlich geförderten Beschäftigung streiten kann, bleibt unter dem Strich der Befund übrig, dass heute nahezu keine Möglichkeiten mehr bestehen, langzeitarbeitslose Menschen außerhalb des ersten Arbeitsmarktes in Beschäftigung zu bringen. Gleichzeitig wissen wir, wie wichtig es ist, einen Arbeitsplatz zu haben, an dem man sinnvoll tätig sein kann, seine Erfüllung finden kann und Kontakte zu anderen Menschen pflegen kann.

Die Fraktion Die LINKE hat im Jahre 2015 einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht, wonach 200.000 Plätze der öffentlich geförderten Beschäftigung geschaffen werden sollten. Dieser Antrag ist mit überwältigender Mehrheit im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnt worden. Besonders peinlich erscheint die Begründung der SPD. Für solche Maßnahmen seien „dicke Bretter“ zu bohren, viele Entscheidungsträger noch zu überzeugen. Warum hat diese Fraktion dann den Antrag abgelehnt und nicht den Weg eingeschlagen, „dicke Bretter“ zu bohren und wichtige Entscheidungsträger zu beeinflussen?

Aus diesen Befunden ergeben sich die nachfolgenden Forderungen:

Die Regelsätze müssen signifikant erhöht werden.

Als Referenzgruppe aus der Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe müssen die unteren 20 % genommen werden.

Es darf keine willkürlichen Herausnahmen von Ausgabepositionen geben.

Hausrat und sogenannte weiße Ware müssen als einmalige Leistungen gewährt werden.

Die Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII sowie die sogenannten Aufstocker müssen aus der Kontrollgruppe herausgenommen werden.

Das rechnerische Ergebnis muss anhand bedarfstheoretischer Überlegung zur menschenwürdigen Versorgung überprüft werden.

Ein System der öffentlich geförderten Beschäftigung ist zu etablieren.

Download Input Workshop

Download Präsentation DGB

Download Handout KOS (Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen)

Download Präsentation KOS

 

 


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